Etwa 95 Prozent aller nicht eingestellten Strafverfahren werden in der Schweiz derzeit mittels Strafbefehl erledigt. Wird dagegen nicht innert 10 Tagen Einsprache erhoben, liegt ein rechtskräftiges Urteil vor. Dabei agiert der Staatsanwalt als Kläger und «Richter».

 

Abschlussmöglichkeiten

Ist die Untersuchung im Strafverfahren einmal eröffnet, kann die Staatsanwaltschaft das Vorverfahren mittels Strafbefehl, Anklageerhebung bei Gericht oder Einstellung abschliessen. Bei niederschwelligen Delikten, beispielsweise Ladendiebstählen, kann unter Leitung der Staatsanwaltschaft ein Vergleich unter den Parteien angestrebt werden, wobei ebenfalls eine Einstellung des Vorverfahrens erfolgt. Mittels Strafbefehl werden insbesondere Massen- und Bagatelldelikte erledigt, sofern entweder die beschuldigte Person die Tat gestanden hat oder aber die Umstände anderweitig ausreichend geklärt worden sind (Art. 352 Abs. 1 StPO).

 

Pro und Kontra der Erledigung mittels Strafbefehl

Die Erledigung mittels Strafbefehl soll das Strafverfahren sowohl für den Beschuldigten als auch die Strafjustiz beschleunigen. In diesem Fall müssen die Parteien nicht zu einer öffentlich durchgeführten Gerichtsverhandlung erscheinen (Art. 69 StPO), was dem Leitgedanken der Effizienz entspricht und das Verfahren schneller und kostengünstiger macht.

Diese Effizienz und «Oberflächlichkeit» im Strafverfahren stellen jedoch wesentliche strafprozessuale Grundgedanken in Frage. Im Gegensatz zum ordentlichen Strafverfahren kann der Staatsanwalt die Angelegenheit selbständig aburteilen. Damit besteht keine personelle Trennung zwischen Anklage und Urteilsfindung. Eigentlich handelt es sich beim Strafbefehl um einen Urteilsvorschlag (Strafangebot, Bestrafungsofferte), was leider ungenügend zum Ausdruck kommt und durch das strukturelle Ungleichgewicht noch verstärkt wird. Neben dieser funktionalen Personalunion der Staatsanwaltschaft bleiben auch Fragen zum rechtlichen Gehör, der Waffengleichheit und des Grundsatzes der Verfahrensöffentlichkeit unbeantwortet.

 

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Autor: Mario Kälin / 12. Mai 2022, 14:50