Der druckfrische jüngste Entscheid des Bundesgerichts, publiziert am 27.01.2020, bringt Klarheit über die Gewichtung von Fragen der kommunalen Einbürgerungsgremien über die geografischen und kulturellen Kenntnisse des einbürgerungswilligen Ausländers. Immer wieder war seit Jahren in der Presse von Gesuchen zu lesen, die insbesondere im Rahmen der kommunalen Einbürgerungsgespräche abgelehnt wurden, weil der Einbürgerungswillige mangelnde Kenntnis hinsichtlich der örtlichen oder schweizerischen gesellschaftlichen, kulturellen und geografischen Gegebenheiten habe, so etwa, weil der Einbürgerungswillige nicht wusste, dass man zu flüssiges Käsefondue durch Zugabe von Maizena andickt.
Auch im aktuell entschiedenen Fall hatte die kommunale Einbürgerungsbehörde die Einbür-gerung verweigert, weil es angeblich an den erforderlichen Kenntnissen zu Geschichte, Geografie und kulturellen Sitten und Gebräuchen fehle. Dem Einbürgerungswilligen wurde zum Verhängnis, dass er zwar Sitten, Orte und kulturelle örtliche Gebräuche kannte, aber teilweise nicht konkret benennen konnten oder nicht über weiteres Detailwissen dazu verfügte. So konnte er zwar mit dem Wort «Ländler» nichts anfangen, kannte aber das «Schwyzerörgeli», dennoch wurde ihm unterstellt, er wisse nicht, was Schweizer Volksmusik sei. Er kannte ferner den Tierpark Goldau, wusste jedoch nicht, dass Bären und Wölfe im gleichen Gehege leben, was ihm negativ verbucht wurde. Dies und weitere ähnliche Fragen resp. Antworten führten dazu, dass die kommunale Einbürgerungsbehörde eine Einbürgerung aufgrund mangelnder Integration in die lokalen Verhältnisse verweigerte.
Das Bundesgericht hat nun nochmals klar festgestellt, dass die ausreichende Integration einer Person sich nach den Gesamtumständen des spezifischen Falles beurteile und einzelne Integrationsfragen nicht überbewertet werden dürfen. Der Entscheid habe alle vom Einbürgerungsgesetz vorgesehenen Kriterien einzubeziehen: Wohnsitzerfordernisse, Sprachkenntnisse und Eingliederung in die Schweizer Lebensverhältnisse (vertraut mit Schweizer Lebensgewohnheiten, Sitten und Gebräuchen, Achtung der Schweizer Rechtsordnung usw.). Die Kantone seien zwar in der Ausgestaltung der Einbürgerungsvoraussetzungen insoweit frei, als sie weitere Konkretisierungen bzgl. Wohnsitzerfordernisse und persönlicher Eignung vornehmen können, jedoch nur im bundesgesetzlich vorgegebenen Rahmen, wobei die kantonalen Anforderungen selbst verfassungskonform sein müssen und eine Einbürgerung nicht übermässig erschweren dürfen. Auch würden die Gemeinden zwar über ein gewisses Ermessen beim Entscheid über eine Einbürgerung verfügen, allerdings sei das Einbürgerungsverfahren kein «rechtsfreier Vorgang» und die Gemeinde dürfe nicht «willkürlich, rechtsungleich oder diskriminierend» entscheiden und habe sich an die einschlägigen Verfahrensbestimmungen zu halten. Der Ermessensspielraum der Gemeinden bedeute nicht, dass es diesen freistehe, eine Person, die alle auf eidgenössischer und kantonaler Ebene festgelegten gesetzlichen Einbürgerungsvoraussetzungen erfülle und somit integriert sei, dennoch nicht einzubürgern. Im aktuellen Fall hatte der betroffene Ausländer die Wohnsitzerfordernisse erfüllt, war nicht straffällig geworden, verfügte über ausreichend Deutschkenntnisse, hatte den schriftlichen Test über gesellschaftliche und politische Kenntnisse der Schweiz bestanden, ist erwerbstätig und lebt in geordneten persönlichen und finanziellen Verhältnissen. Dennoch wurde ihm die Einbürgerung verweigert, weil er bei den Kenntnissen über die schweizerischen und lokalen Verhältnisse Lücken zeigte. Dieser Übergewichtung nur eines Teilbereichs der Einbürgerungskriterien ist das Bundesgericht nun entgegengetreten. Die Ansprüche an die Kenntnis über die schweizerischen und lokalen Lebensverhältnisse (Sitten, Gebräuche, Geografie etc.) dürfen nicht «überzogen erscheinen». Es gehe nicht darum, ein «Fachexamen» abzulegen, bei dem Spezialkenntnisse und Spezialbegriffe bekannt sein müssten. Es genüge, wenn Grundkenntnisse des Allgemeinwissens vorhanden seien. Es dürfe vom einbürgerungswilligen Ausländer nicht mehr Wissen verlangt werden, als von einem durchschnittlichen Schweizer in der gleichen Wohngemeinde «vernünftigerweise erwartet werden dürfe». Das Bundesgericht stellt erneut klar, dass die Fokussierung auf einzelne – insbesondere lokale – Kriterien unzulässig sei (ausgenommen solche Kriterien, die grundsätzlich entscheidend seien, wie z.B. eine erhebliche Straffälligkeit) und vielmehr eine Gesamtbetrachtung aller massgeblicher Einbürgerungskriterien im konkreten Einzelfall vorzunehmen sei, wobei ein Manko in einem Bereich durch Stärken der anderen Kriterien ausgeglichen werden könne.
Nach Ansicht des Bundesgerichts hatte der Betroffene im aktuellen Fall bei den persönlichen Gesprächen mit der kommunalen Einbürgerungsbehörde und den Fragen zu den geografischen und kulturellen Kenntnissen zwar «nicht brilliert», jedoch durchaus gut die Hälfte der erfragten Sachverhalte ganz oder dem Grundsatz nach gekannt. Da er jedoch alle übrigen eidgenössischen und kantonalen Kriterien erfüllt habe, konnte er dadurch seine Schwäche bei den geografischen und kulturellen Kenntnissen ausgleichen. Das Bundesgericht hat die Einbürgerungsbehörde der Wohngemeinde deshalb angewiesen, dem Betroffenen das Gemeindebürgerrecht zu erteilen.
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Quelle: BGE 1D_1/2019 v. 18.12.2019
Autorin: Cornelia Arnold / 29. Jan. 2020, 18:10